Foto: MChe Lee / Unsplash

Speck und Muffins

HannaNym
3 min readNov 30, 2022

Mit der Mutter meiner Mutter habe ich seit mehr als zehn Jahren nicht gesprochen. Das Finale unserer (Nicht-)Beziehung: Sie wusste, dass ich kein Fleisch esse. Schon seit Jahren. Und reagierte darauf, indem sie Speckwürfel extra klein schnitt und ins Essen mischte. Freund:innen, denen ich diese Episode erzähle, erfreut sie meist sehr. Mit zeitlichem Abstand finde ich sie vor allem: bizarr.

Das Problem war gar nicht mal der Speck. Ich hätte niemals den Kontakt zu jemanden abgebrochen, wäre es ein Versehen gewesen. Es war der Aufwand, den sie betrieb, um bei mir etwas durchzusetzen, von dem sie wusste, dass ich es nicht wollte. Und der halt für vieles stand, was mit ihr schief lief.

Die Mutter meiner Mutter stammt aus einer Arbeiterfamilie und ging mit 14 “zum Bauern in die Lehre”. Kühe melken, Stall ausmisten, das ganze Programm. Sie wohnte auf dem Hof, sah ihre Eltern und Schwestern nur noch am Wochenende. Dann Hochzeit und erstes Kind mit knapp 18, Kollektivierung und so weiter. Kein einfaches Leben, aber unterm Strich auch kein schlechtes, gemessen an der damaligen Zeit. Zufrieden war sie nicht. Dabei hatte sie immer wieder die Möglichkeit, sich anders zu entscheiden, gerade nach 1990. Tat sie aber nicht.

Es wäre alles ihr Problem, käme nicht ihr Anspruch dazu, dass ihre Kinder und Enkel es mindestens genauso schlecht haben sollten wie sie sich fühlte. Meine Mutter konnte sich noch mit 40 anhören, dass ihr Studium umsonst war. Mich hätte sie am liebsten nach der achten Klasse auf die Hauswirtschaftsschule geschickt. Die Treffen mit ihr bestanden aus Vorwürfen, Stirnrunzeln und Kopfschütteln. Ich kann mich nur dunkel erinnern, dass sie sich mal über irgendetwas in Zusammenhang mit mir gefreut hat. Und überhaupt nicht, dass wir mal ein Gespräch geführt haben, dass in irgendeiner Form vertraulich, offen, freundlich war.

Am Ende ist es mit Familie wie mit anderen Menschen auch. Warum sollte ich jemanden, der:die kontinuierlich für Verunsicherung, Ärger oder Verletzungen sorgt, in meinem Leben haben wollen. Ich machte ihr keine Ansage, sondern hörte einfach auf, sie zu besuchen. Und hatte seit dem auch nicht das Bedürfnis, es rückgängig zu machen. Und sie, obwohl sie weiß, was der Auslöser war, macht keine Anstrengungen, sich zu entschuldigen oder eine Aussprache zu suchen. Bäuerlicher Habitus, der macht, dass man Zuneigung nicht durch Worte zeigt, ist das eine. Ich denke aber, dass es von jemanden, der 75 Jahre Zeit hatte, sich mit dieser Welt zu befassen, nicht zu viel verlangt ist, eigene Fehler zu verstehen und zuzugeben.

Daran musste ich denken. Weil selbst meine Kollegin, mit denen ich erst seit drei Jahren arbeite, demnächst wieder vegane Muffins mitbringen wird. Auch wenn ich ihr sage, dass es nicht nötig ist, sich extra für mich, als einzige Veganerin in ihrem Umfeld, Umstände zu machen. Dann sagt sie, dass sie zum Backen sowieso immer Margarine nimmt und schon länger mal den Eiersatz aus dem DM ausprobieren wollte und dass ich mich nicht so anstellen soll. Und klar, am Ende ist das wohl keine große Sache. Aber gerade das macht es wiederum groß, dass selbst berufliche Kontakte meinen Entscheidungen mehr Akzeptanz entgegenbringen als die Mutter meiner Mutter.

--

--

No responses yet